Aufrüstung als Geschäftsmodell

Die europäische Waffenindustrie kann bei so viel Rückenwind, den sie selbst mit bläst, gar nicht so schnell investieren und produzieren, wie sie laut Auftragseingängen könnte und wollte. Wohl auch daher erwägt etwa der deutsch-französische Rüstungskonzern KNDS, der bislang nicht börsennotiert ist, laut Insidern den Gang an die Aktienmärkte – der vorzüglichen Auftragslage, die viel Kapital erfordert, sei Dank. KNDS spezialisiert sich zwar auf den Panzerbau, stellt aber etwa auch das Raketenwerfersystem Mars II her, das in der Ukraine genutzt wird, und das nach der Entscheidung von Bundeskanzler Merz, die Reichweitenbeschränkung aufzuheben, nun seine Ziele in maximal 84 Kilometern Entfernung erreichen kann. Das Gleiche gilt für die Panzerhaubitze PzH 2000, die ebenfalls von KNDS im Verbund mit Rheinmetall gefertigt wird, und die nun Ziele in einer Reichweite von bis 56 Kilometern beschießen kann. Beide Waffensysteme sind seit Herbst 2024 in der Umgebung der Großstadt Charkow stationiert, 40 Kilometer von der russischen Grenze entfernt.

Rüstung made in Europe:
Das SAFE-Programm als Milliardenmotor

Im Jahr 2024 hat KNDS ein Plus bei den Aufträgen von rund 40 Prozent erzielt, in der Summe sind das 11,2 Mrd. Euro an neuen Aufträgen. KNDS und andere Rüstungskonzerne werden auch von dem am 27. Mai beschlossenen Rüstungsprogramm SAFE (Sicherheitsmaßnahmen für Europa) profitieren. Mit einem Kreditvolumen von 150 Mrd. Euro sollen dabei Investitionen von 800 Mrd. Euro mobilisiert werden. Im SAFE-Programm findet sich auch eine „Made in Europe“-Regel. So werden bei Kreditanträgen, die EU-Staaten stellen können, nicht nur Rüstungsaufträge an europäische Unternehmen bevorteilt. Kriterium für eine Kreditvergabe aus SAFE ist auch, dass mindestens zwei EU-Mitgliedstaaten Rüstungskäufe gemeinsam tätigen. Auch EU-Beitrittskandidaten können sich beteiligen – ein Instrument ihrer künftigen Bindung an die EU. Zudem werden länderübergreifende Kooperationen zwischen europäischen Rüstungsunternehmen goutiert, auch dabei sind Unternehmen aus Nicht-EU-Ländern zugelassen. Großbritannien hat bereits angekündigt, Teil des Programms werden zu wollen.


Deutschland selbst könnte zwar auf SAFE-Mittel verzichten, weil es auf den Kapitalmärkten ähnlich vorteilhafte Konditionen der Kreditrückzahlung erreichen kann, wie sie das EU-Programm vorsieht. Gleichwohl dürften etliche deutsche Rüstungskonzerne massiv von dem Programm profitieren – wegen der Klauseln zur „Europe first“, zur zwischenstaatlichen Zusammenarbeit und den Kooperationen zwischen Unternehmen.

Denn es ist klar, dass vor allem potente Konzerne aus Westeuropa, vornehmlich aus den größeren EU-Staaten wie Deutschland, Frankreich und Italien zum Zuge kommen werden, die innereuropäisch technologische Spitzenreiter und Schwergewichte sind. Die wichtigsten Rüstungsunternehmen aus 21 Ländern des Kontinents sowie die jeweils nationalen Lobbyvereinigungen der Branche haben sich im europäischen Verband ASD (Aerospace, Security and Defence Industries Association of Europe) vereint. 4000 Mitgliedsunternehmen zählt der Verband, sie beschäftigen nach eigenen Angaben rund eine Million Menschen und haben 2023 einen Gesamtumsatz von 300 Mrd. Euro erzielt. Die ASD hat in einem Positionspapier vom Anfang Mai das erwähnte schuldenfinanzierte SAFE-Programm der EU mehr als begrüßt. „Angesichts seines Umfangs und Budgets sowie der langen Lebensdauer der zu beschaffenden Systeme wird SAFE einen wichtigen und langfristigen Einfluss auf die europäischen Verteidigungsfähigkeiten und die europäische Industrie haben“, heißt es darin. Um dies zu erreichen, halte der Verband die Bevorzugung europäischer Hersteller und Produkte für unerlässlich. „Grundsätzlich sollten EU-Mittel nicht für Verteidigungsbeschaffungen aus Drittländern verwendet werden, die ohnehin aus nationalen Haushalten finanziert werden können.“

Börsengewinner Rheinmetall:
Aufrüstung als Geschäftsmodell

Wohl auch wegen dieses Programms, das Brüssel bereits im März dieses Jahres angekündigt hatte, sowie der von ihm erhofften Schub-Wirkung, haben viele Rüstungskonzerne zuletzt abermals massiv an Wert gewonnen. Das britische BAE Systems (British Aerospace Electronic Systems), Europas größter Rüstungskonzern, hat seit Anfang Februar dieses Jahres einen Wertzuwachs von rund 50 Prozent erzielt, allein zwischen Anfang und Ende Mai waren es rund 15 Prozent. Und der größte deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall, der bereits seit Beginn des Krieges Russlands in der Ukraine einen langanhaltenden Aufschwung erlebt, hat innerhalb eines Monats bis Ende Mai seinen Börsenwert um knapp 40 Prozent gesteigert. In nur zwei Tagen nach der Ankündigung von Bundeskanzler Merz, die Reichweitenbeschränkung für deutsche Waffensysteme in der Ukraine aufzuheben, stieg der Kurs sprunghaft um weitere acht Prozent. Schon zuvor hatte Rheinmetall bei der Umsatzerwartung für das Jahr 2025 ein Plus von 25 Prozent gegenüber dem Vorjahr prognostiziert.

Alleine im Mai informierte Rheinmetall über zwei neue innereuropäische Kooperationen – eine Partnerschaft mit dem britischen Verteidigungsministerium beim Bau eines neuen Standortes für die Geschützfertigung in Großbritannien sowie eine „strategische Zusammenarbeit“ mit dem spanischen Rüstungsunternehmen Indra beim Bau gepanzerter Fahrzeuge. Kooperationen ganz im Sinne der neuen EU-Strategie also. Weitere Verflechtungen schafft der Düsseldorfer Konzern aber auch mit US-Rüstungskonzernen. Ende April unterzeichneten Rheinmetall und Lockheed Martin ein erweitertes Memorandum of Understanding (MoU) über die Einrichtung eines „Kompetenzzentrums“ für die Herstellung und den Vertrieb von Raketen und Flugkörpern. Den US-Amerikanern geht es dabei darum, „unseren europäischen Kunden dabei zu helfen, ihre Nato-Verpflichtungen zu erfüllen“, wie Ray Piselli, Vize-Chef von LM International, sagt.

Denn klar ist: Die Europäer können oder wollen derzeit noch nicht auf die in vielen Bereichen führenden US-Waffensysteme verzichten. Und die USA wollen sich, trotz Trumps Ukraine- und Russland-Politik und seinem vagen „Rückzug“ aus Europa, einen möglichst großen Anteil an der wachsenden europäischen Rüstungstorte sichern. Wie Brüssel und die EU-Staaten beide Aspekte – die Bevorzugung von EU-Unternehmen auf der einen, und die US-Ansprüche auf der anderen Seite – in Zukunft vereinbaren werden, steht auch im größeren Kontext des Zoll- und Handelsstreits. Denn die im Mai von Trump angekündigten und bisweilen bis 9. Juli ausgesetzten Zölle auf europäische Produkte in Höhe von 50 Prozent will die EU auch damit wieder aus der Welt schaffen, indem sie Trump mehr Waffenkäufe in den USA verspricht, zusätzlich zu erhöhten Importen von US-Frackinggas und der Absenkung von bestehenden EU-Zöllen auf US-Produkte.

Wer vom Aufrüsten profitiert:
Blackrock
, Morgan Stanley, Goldman Sachs

________________________________

Hier 2 sehr interessante Artikel über die Profiteure:

Friedrich Merz: Zwischen Blackrock und Kanzleramt
Alice Weidel: Von Goldman Sachs zur AfD-Spitze

Mach Dir Deine eigenen Gedanken darüber,
welche Ziele diese “Volksvertreter” tatsächlich verfolgen!

________________________________

Bisweilen scheint aber zwischen dem Ziel des „Rüstung Made in Europe“ einerseits, und den Ansprüchen der Amerikaner andererseits, ihren Waffen-Fußabdruck in Europa zu halten und zu steigern, kein fundamentaler Widerspruch. Denn im Zentrum steht nicht die Umverteilung bestehender Mittel, sondern der massive und langfristig angelegte Anstieg der Rüstungsausgaben: Zwischen 2021 und 2024 erhöhten sich die Militärausgaben aller EU-Staaten um rund 30 Prozent – auf insgesamt 326 Milliarden Euro. Und dies war offenbar erst der Anfang, und die Aufhebung der Beschränkungen für die Höhe der Verteidigungsausgaben in Deutschland, in der umstrittenen Sitzung des alten Bundestags Mitte März, nicht singulär. In Polen etwa hat die Regierung kürzlich – mit Zustimmung Brüssels – Mittel aus dem EU-Wiederaufbaufonds in Höhe von sechs Milliarden Euro, die für die grüne Transformation der Städte bestimmt waren, in einen „Verteidigungsfonds“ umgeleitet. Das Land ist, gemessen am BIP, mit seinen Verteidigungsausgaben Nato-Spitzenreiter – in diesem Jahr sind 4,7 Prozent des BIP vorgesehen, im kommenden mindestens fünf Prozent. Und in Frankreich soll ein neuer Fonds entstehen, durch den sich auch Normalbürger an Investitionen in die Rüstungsindustrie des Landes beteiligen können. Das Verteidigungsbudget soll von derzeit rund 50 Mrd. Euro auf 67 Mrd. Euro im Jahr 2030 steigen.


Zwar betont Paris, dass vor allem die heimische Branche mit einer „signifikanten“ Erhöhung staatlicher Aufträge rechnen könne. Da viele EU-Staaten nicht über eine so leistungsfähige Rüstungsindustrie wie Frankreich verfügen, dürfte trotz des SAFE-Programms und des „Made in Europe“-Prinzips auch künftig ein erheblicher Teil der europäischen Rüstungsausgaben in die USA fließen – sei es direkt an US-Hersteller oder über transatlantische Unternehmensallianzen. Zwar schreibt der Bundesverband der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV), die Politik müsse die „technologische Souveränität“ stärken, und „die vorrangige Beschaffung von in Deutschland entwickelten und gefertigten Produkten“ anstreben, „um die Abhängigkeiten von externen Lieferketten zu minimieren und die industrielle Wertschöpfung im eigenen Land zu stärken“.

Doch die internationalen Verzahnungen der Rüstungsindustrie – siehe Rheinmetall und Lockheed Martin – und die Eigentümerstrukturen zeigen, dass diese längst nicht mehr national zu denken sind. Allein bei Rheinmetall halten institutionelle Anleger aus den USA – etwa die Großbanken Morgan Stanley und Goldman Sachs sowie die weltweit größte Investmentgesellschaft Blackrock – zusammen rund 28 Prozent der Anteile. Sie haben nicht nur Einfluss auf Entscheidungen der Düsseldorfer Konzernleitung, sondern profitieren jetzt und künftig von jedem europäischen Rüstungsschulden-Euro. Und werden auch noch profitieren, wenn der Krieg in der Ukraine zu Ende gehen sollte. Blackrock und Morgan Stanley haben bereits Verträge mit der ukrainischen Regierung unterzeichnet, die westliche Investitionen nach einem Kriegsende in der Ukraine regeln. Ob Krieg oder Nachkriegszeit: die Profiteure sitzen im Westen.

Ziel erreicht:
Europas Militarisierung

Während aber die Trump-Regierung auf ein verhandeltes Ende des Krieges drängt, treten nun zunehmend die Europäer als Verhinderer einer Friedenslösung in Erscheinung – zweifelhafte Ultimaten der „Koalition der Willigen“ gegenüber Russland und die jüngsten Ankündigungen des deutschen Bundeskanzlers sind dafür nur die aktuellsten Beispiele. Der polnische Politologe, Jurist und Publizist Witold Sokała, der an der Universität von Kielce lehrt, schrieb einen Monat nach Trumps Machtantritt: „Die Berechnung Washingtons ist nun wohl scheinbar einfach: Als Erstes muss die Europäische Union zerstört, zumindest ernsthaft geschädigt werden. Beginnend mit ihrem Kern, also Deutschland. Diesem Ziel dient, die Europäer in der Frage der Ukraine in die Falle zu locken, also eine Situation herbeizuführen, in der sie radikaler und antirussischer sind als die Amerikaner, und dafür die Konsequenzen in der Sphäre der Sicherheit zu tragen, auch rein militärisch.“

Von einer solchen Warte aus gesehen, und angesichts der jüngsten Beschlüsse in Berlin und Brüssel, ließe sich konstatieren: Ziel teilweise erreicht. Merz sagte bei der Pressekonferenz mit Selenskyj in Berlin: „Wir wollen lang weitreichende Waffen ermöglichen, wir wollen gemeinsame Produktionen ermöglichen, und wir werden über Details nicht öffentlich sprechen, sondern wir werden die Zusammenarbeit intensivieren, aber wir werden vor allem darum bemüht sein, die ukrainische Armee mit allen Möglichkeiten auszustatten, die ihr wirklich die Möglichkeit geben, das Land erfolgreich zu verteidigen.“

Es wirkt, als wäre die Lieferung und die volle Freigabe des Taurus-Marschflugkörpers nur eine Frage der Zeit, deren Wende sich unwiederbringlich zu vollenden scheint.

Bernd M. Schmid
(Menschenrechtsverteidiger & Pazifist)

________________________________

Wie lange willst Du bei den
Kriegstreibereien noch tatenlos zuschauen?

Schließe Dich unserer Friedensmission an!

Veröffentlicht am
Kategorisiert in News